Myrièlle ist 19 Jahre alt und hat im letzten Oktober ihr Zahnmedizinstudium an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg begonnen. Damit startet für sie ein neuer Lebensabschnitt in einer neuen Stadt mit neuen Freunden, neuen Tagesabläufen und vielen neuen Eindrücken. In mehreren Beiträgen schildert Myrièlle ihre ersten Erfahrungen vom neuen Leben als Zahni.
Egal ob man später Chirurg, Internist oder Kieferorthopäde wird: Durch den Präpkurs muss jeder Mediziner zu Beginn seiner Karriere. Bei uns in Heidelberg startet der Präparierkurs parallel mit den Vorlesungen zur Makroskopischen Anatomie direkt in der ersten Woche. Mittlerweile habe ich den wohl sagenumwobensten Teil der Vorklinik hinter mir – und möchte keine der Erfahrungen der letzten vier Monate missen.
Auf den Tag hatten wir wohl alle hingefiebert: Das erste Mal Präparieren. Im weißen Kittel und mit Handschuhen bewaffnet betraten wir den nach Formalin riechenden Saal. Ein weiß gekachelter Raum und neun Metalltische, auf jedem ein eingewickelter Körper. Der Beginn des Präpkurses ist für wohl jeden Studenten herausfordernd. Kaum einer hat bis dato eine Leiche gesehen, und für viele ist es die erste intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben und Tod. Angeleitet werden die kleinen Studentengruppen von jeweils zwei „Präp-Assis“ – Studenten im dritten Semester – und einem Tutor für virtuelle Anatomie. Präpariert wird jeweils zweimal die Woche für jeweils drei Stunden. Dabei ist jedem Tisch ein Dozent zugeteilt, der am Körper erklärt, hin und wieder abfragt und die mündlichen Testate abnimmt.
Die Anatomie startet mit dem Thema Osteologie. In den Vorlesungen wird der Bewegungsapparat abgehandelt, während zeitgleich am Körperspender gearbeitet wird. Anschließend folgt das Thema Extremitäten (in Heidelberg entfällt das für uns Zahnmediziner). Im Abschnitt Situs werden die inneren Organe in den Bereichen Thorax, Abdomen und Becken freigelegt, entnommen und durchgesprochen. Viele Studenten finden dieses Gebiet am spannendsten, obwohl es schon ein komisches Gefühl ist, die Sternum-Säge anzusetzen und den Thorax zu eröffnen. Doch schnell – und so geht es vielen – brüht man mit der Zeit ab und verdrängt, dass dort ein Mensch liegt. Anschließend folgt das Thema Kopf / Hals: Die Sinnesorgane werden präpariert, Leitungsbahnen freigelegt und Hirnnerven gepaukt. Ein spannendes Kapitel, aber auch sehr emotional. Das Gesicht zu Präparieren stellt für viele Studenten eine große Hürde dar. Anschließend folgte beim Thema ZNS die Entnahme und Präparation des Gehirns und des Rückenmarks.
Einmal alle zwei Wochen hatten wir dann noch Virtuelle Anatomie. Zusammen mit einem Tutor lernten wir, CT-Bilder zu befunden und sahen uns die wichtigsten Strukturen an 3D-Programmen an. Auch wenn man am Anfang das Gefühl hatte, absolut gar nichts zu erkennen, wird man schnell mit den Programmen vertraut und entdeckt schlussendlich auch kleinere Nerven und Gefäße.
Wie habe ich diese Monate erlebt?
Ich weiß noch, dass mir beim Präppen einmal die Tränen kamen. Ich war immer sehr gut mit der Situation zurecht gekommen und hatte nie Schwierigkeiten und Hemmungen gehabt, am Körper zu arbeiten. In den vielen Wochen des Präparierens verliert man jedoch allmählich den Bezug zu der Tatsache, dass da ein echter Mensch vor einem liegt. Doch als ich über den Körper gebeugt die Fazialisäste freilegte und in das Gesicht des Spenders blickte, wurde mir erst richtig bewusst, was es bedeutet, irgendwann einmal Ärztin zu sein. Es geht nicht nur darum, chemische Formeln auswendig oder sämtliche Arterienabgänge runterbeten zu können. Es geht um Verantwortung. Es geht darum, dass sich uns Patienten anvertrauen und wir durch unser ärztliches Handeln über deren weiteres Leben entscheiden. Ganz egal, in welcher Fachrichtung. Mir wurde bewusst, wie weit die Tragweite unserer späteren Entscheidungen sein wird. Und dass man trotz der vielen Fakten in der Medizin nie vergessen sollte, dass man mit einem Menschen zu tun hat.
Man wird oft gefragt, was man während des Präppens empfindet. Ekel? Hemmungen vielleicht? Bei mir ist es Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass sich ein Mensch dafür entschieden hat, uns seinen Körper zu überlassen. Es ist keine Selbstverständlichkeit die Möglichkeit zu bekommen, die menschliche Anatomie so genau zu studieren. Keine Abbildung der Welt kann ein so genaues Bild im Gedächtnis hinterlassen. Das Gefühl, ein Herz in der Hand zu halten und mit den Fingern den einstigen Blutverlauf zu verfolgen, kann keine Vorlesung vermitteln. Der Präpkurs bildet das Fundament für das spätere ärztliche Arbeiten. Nicht nur die Anatomie betreffend, sondern auch in Bezug auf das Bewusstsein für die Verantwortung für einen Patienten und die Achtung der Würde des Menschen.
Mein Präpkurs ist mittlerweile seit zwei Wochen vorbei und hat definitiv eine Lücke im Uni-Alltag hinterlassen. Das Präppen ist eben etwas ganz Besonderes, nicht zuletzt aufgrund des großen Zusammenhaltes innerhalb der Präpgruppe. Die emotionale Belastung und der Stress vor den Testaten können einen an die Grenzen bringen – da hilft es enorm, Mitstreiter um sich zu haben. Man leidet zusammen, man lacht zusammen. Das alles macht die gemeinsame Zeit und jede bestandene Prüfung unvergesslich. Auch wenn das Präparieren heutzutage viel hinterfragt wird, bin ich überzeugt, dass es definitiv seine Daseinsberechtigung in der Ausbildung junger Mediziner besitzt. Die Komplexität des Menschen lässt sich meiner Meinung nach nur am echten Körper erfassen. Genießt die Zeit! Auch wenn es anstrengend werden wird: Seid dankbar für diese prägenden und bereichernden Stunden und versucht so viel wie möglich daraus mitzunehmen.
Grüße aus Göttingen , studiere hier Zahnmedizin in 2. Semester, heute ist der erste Präp.Tag! Danke für dein Artikel, ich glaube, ich kann jetzt mit anderen Gedanken ins Saal reinkommen. Danke!
Freue mich schon auf den nächsten #Zahnis-Beitrag!
Liebe Grüße aus Berlin,
Miri